„Unternehmenskommunikation: Der neue Zwang zur Selbsterklärung“ mit Prof. Karsten Rudolph (Evonik) – HBRS, 15. November 2013

Meine Damen und Herren,

wir haben einen Gast. Prof. Karsten Rudolph vom Chemiekonzern Evonik – Sie kennen die Firma von den BVB-Trikots – ist Leiter der politischen Kommunikation und Parlamentsbeauftragter im Büro Brüssel. Was wir in diesem Semester erkunden wollen, ist für ihn konkreter Alltag. – Wie heißt es in jeder Talkshow? „Schön, dass Sie da sind.“

Bevor er uns davon berichtet und sich Ihren Fragen stellt, möchte ich das Thema kurz umreißen. – Wir suchen nach Gründen und Hintergründen für eine These.

Sie lautet:
Es gibt in der Bundesrepublik eine Akzeptanzkrise für große Projekte der Infrastruktur. Da sich die Politik vorwiegend mit sich selbst beschäftigt, müssen Unternehmen eine neuartige Kommunikationskultur entwickeln, um wichtige Konzepte gesellschaftsfähig zu machen.

Wir werden uns fragen:

  • Welches sind die Voraussetzungen und Eigenschaften der neuen Situation?
  • Welche Schritte, Maßnahmen, Formen sind konkret nötig und realisierbar?
  • Und: welche Folgen ergeben sich langfristig für die Gestaltung des Gemeinwesens, in dem wir leben?

Kurze Erinnerung an den Politikunterricht:

Autokratische Systeme verzichten auf Teilhabe. Der Bürger ist lediglich Untertan. Widerspruch ist nicht vorgesehen. Widerstand wird geahndet. Das bedeutet: ideologische Dogmatik und Verzicht auf mögliche Alternativen. Entscheidungen fallen rasch. Ihnen fehlt jedoch die Legitimation durch Akzeptanz. Das ersetzen sie durch die verordnete Illusion ihrer Unfehlbarkeit. Fehlsteuerungen sind deshalb kaum revidierbar. Sie werden mit Machtmitteln durchgesetzt, gegen alle Einsicht und Realien, meist unter großen Opfern und bis zum bitteren Ende.

Demokratie ist Teilhabe. Sie fördert nicht nur, sie ist das öffentliche Selbstgespräch der Gesellschaft und erzeugt so einen Überfluss an Alternativen. Man kann die (vielleicht) bessere wählen. Es geht um den Ausgleich der Interessen. Was sich nicht gegenseitig stört, darf nebeneinander existieren. Nur wenn das nicht möglich ist, soll die Mehrheit entscheiden. Die Entscheidungswege sind langwierig, oft auch langweilig. Aber Experimente sind erlaubt. Sie dürfen sogar scheitern. Fehler sind in ihrem Ausmaß überschaubar. Sie werden relativ früh erkannt und ohne große Schäden korrigiert.

So weit. So schön. So theoretisch klar. – Die Realität ist weniger vollkommen:

  • Es gibt dringliche Herausforderungen und unberechenbare Ereignisse.
  • Es gibt gegensätzliche Interessen, weltanschauliche Zielkonflikte und unterschiedliche Wahrnehmungen von Realität.
  • Es gibt menschliche Schwächen und Irrtümer.
  • Im Foxtrott der Wahl-Termine haben es langfristige Perspektiven schwer.
  • Pragmatische Lösungen scheitern an Macht- und Rangkämpfen der Parteien.
  • Wuchernde Verwaltungsvorschriften und –rituale bremsen anstatt zu fördern.
  • Die öffentlichen Kassen sind leer.

Schlechte Schlagzeilen gibt es genug. Leuchtturm-Projekte fahren gegen die Wand. Das Bildungssystem lahmt. Antiquarische Straßen und Brücken bedrohen den Verkehr anstatt ihn zu tragen. Ein Jahrhundertziel wie die Energiewende droht im parteipolitischen Gerangel zu zerbröseln.

Unter dem Stress der Finanz- und Schuldenkrise steigt die allgemeine Temperatur der Auseinandersetzungen. Statt kühler Pragmatik mehren sich hitzige Debatten. Die Komplexität unserer Lebensverhältnisse überfordert Viele. Sie reagieren mit Abwehr oder Angriff.

Auch der liquid-demokratische Bürger ist kein Ausbund von Um- und Weitsicht. Wie intelligent sein Schwarmverhalten ist, steht noch dahin. Umfragen sind morgen das Papier nicht mehr wert, auf dem sie heute stehen. Wichtige Strukturentwicklungen scheitern am Territorialverhalten von Kleingärtnern.

Umwelt- und Klimaschutz zum Beispiel haben für die Deutschen eine hohe Priorität. In Umfragen akzeptieren sie stolzgeschwellt den Wechsel zur „grünen“ Energie. Kommt es dann jedoch zum Schwur, orientieren sie sich lieber an den Preisen. Ein gutes Gewissen ist schön, darf aber nichts kosten.

Unternehmen und Betriebe stehen zwischen den Fronten. Sie haben Umsatzinteressen. Das ist ihre Natur. Sie haben aber auch Know-how und Erfahrung. Sie verfügen über flexible Organisation, Erfindungsreichtum und eine kompetente Belegschaft. Sie brauchen jedoch verlässliche Rahmenbedingungen.

Die werden ihnen nicht mehr frei Haus geliefert. Strukturelle Großprojekte stellen die Wirtschaft vor neue Aufgaben, – jenseits von Reißbrett, Labor und Produktentwicklung.

Sie muss erkennen: Kommunikationsprozesse sind Schlüsselphänomene des 21. Jahrhunderts. Betriebe, die das verstanden haben und sich auch auf diesem Gebiet professionalisieren, sind nicht nur erfolgreicher als andere. Sie leisten einen Beitrag zur Sozialkultur der Gesellschaft.

Zwei Faktoren sind hier von eminenter Bedeutung, und man muss sie neu buchstabieren. Der erste heißt…

Innovation
In einem rohstoffarmen Land wie der Bundesrepublik Deutschland und im scharfen Wettbewerb des globalen Marktes können sich nur innovative Produkte durchsetzen. Es genügt jedoch nicht, eine gute Idee zu haben. Diese muss sich erst einmal in einem diffusen Umfeld durchsetzen, dass nicht auf sie gewartet hat und ihr oft einen dumpfen Widerstand entgegensetzt.

Ich empfehle Ihnen die Lektüre eines gerade erschienen Buches von Gunter Dueck: „Das Neue und seine Feinde. Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen.“ Erschienen im Campus Verlag Frankfurt, auch als e-book erhältlich.

Unternehmen brauchen ein innovatives Klima, das neue Ideen nicht als Stör- und Kostenfaktor empfindet, sondern als ihren eigentlichen Daseinszweck.

Der zweite Faktor ist nicht minder wichtig, denn ohne ihn bleibt der erste folgenlos. Er heißt…

Vertrauen
Paul Watzlawik hat herausgefunden, dass es neben dem syntaktischen und semantischen auch noch den pragmatischen Aspekt der Kommunikation gibt. Was einer zu sagen hat, ist das eine. Ob und wie es „ankommt“, entscheidet sich auf der Beziehungsebene zwischen ihm und seinen Adressaten. Ist diese gestört, dringt er auch mit der besten Idee nicht durch.

Der wichtigste Rohstoff einer Außenwirkung ist deshalb Vertrauen. Es ist die subjektive Überzeugung von der Redlichkeit einer Personen und der Richtigkeit ihrer Handlungen, Einsichten und Aussagen. – Ein solches Gefühl ist schwer gewonnen und leicht verloren.

Im öffentlichen Sektor entsteht es durch ein langfristig konsistentes Image, durch ehrliche Transparenz der Abläufe und durch Beteiligung der unmittelbar Betroffenen.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung über „Transparenz und Bürgerbeteiligung“ kam kürzlich zu folgenden Ergebnissen:

Der bisherige Mindeststandard für die Öffentlichkeitsbeteiligung in Genehmigungsverfahren reicht nicht mehr aus. Die bloße Chance, Einwendungen vorzubringen und an einem Erörterungstermin teilzunehmen, kann Konflikten nicht vorbeugen und sie schon gar nicht befrieden.

Der Prozess hat nur dann Erfolg, wenn er von beiden Seiten positiv gesehen und konstruktiv geführt wird. Die Leute spüren es sehr genau, ob sie nur Statisten in einem Schautanzen sind, oder ob sie mit ihren Sorgen und sachlichen Einwänden ernst genommen werden.

Sie wollen ergebnisoffen diskutieren und nicht mit Herrschaftswissen gedemütigt werden, zumal sie selbst oft eine große Sachkompetenz haben. – Die Kompetenz der Betroffenen haben sie ohnehin.

Eine breite Beteiligung im Vorfeld ermöglicht auch dem Betreiber des Vorhabens, bisher unbekannte Probleme und dafür neue Lösungen zu finden. Teilziele der Skeptiker können im Gesamtkonzept berücksichtigt werden, was ihnen die Zustimmung zum Ganzen erleichtert.

Das bedeutet einen Mehraufwand an Zeit und Geld. Er dient jedoch dazu, das anschließende Verwaltungsverfahren optimal vorzubereiten und so zeit- und kostenintensive Konflikte zu vermeiden.

So viel zunächst. Es gibt Erkenntnishunger und Forschungsbedarf. Es geht um neue Mittel und Wege, aber auch um eine neue Haltung aller Beteiligten. Die kann man nicht einfach einschalten. Man muss sie trainieren.

Herr Professor Rudolph. – Ihr Auftritt!

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