„Im Netz verfangen?“ – Handelsblatt, 19. Juli 2013
Vor drei Tagen hier im Handelsblatt schrieb Heike Anger über „Steuerfahndung im Netz“. Im Visier der Fahnder die Nutzer von Handelsplattformen, die ihre Verkaufserlöse am Finanzamt vorbeischalten. Im Visier des Artikels die Steuerfahnder, die nun von „Ebay, Amazon & Co“ lupengenaue Auskunft über die Bank- und Umsatzdaten der Web-Händler fordern. Privat verabredete Geheimhaltung – so das BGH – ist wirkungslos.
„Gut so!“, sagt der Bürger, „was Recht ist, muss Recht bleiben.“
Gleichzeitig anschwellendes Reden über Geheimdienste und deren Schleppnetzfahndung gegen Jedermann. Warum nicht weltweit Datenströme erfassen, um Terroristen zu fischen. Technisch und speichertechnisch bieten sich neue Möglichkeiten. Warum einer Versuchung widerstehen, der man leicht erliegen kann. Es geht um Leib und Leben.
„Schlecht!“, sagt der gleiche Bürger. „Meine Kontaktdaten sind mir heilig.“
Hier wie dort geht es ums Aufspüren krimineller Machenschaften. Heiligt der Zweck die Mittel, aber nur im Fall der Steuergerechtigkeit, nicht im Fall der Sicherheit? Haben wir zwei Seelen in unserer Brust? – Oder sind wir nur verwirrt?
Zweierlei Maß bedeutet, ein verbindlicher Maßstab fehlt. Digitalisierung und Internet konfrontieren uns täglich mit neuen Realitäten, deren Komplexität uns überfordert und mit der uns die Politik schon zu lange alleine lässt.
In Bezug auf die Steuerfahndung wurden inzwischen gerichtlich Grenzen eingezogen. Eine Raster-fahndung nach Jedermann, nur weil er ein Einkommen bezieht und ihn dieser Umstand schon verdächtig macht, ist nicht statthaft. – Nun sollten auch persönliche Daten nicht grenzenlos verfügbar sein, nur weil es sie gibt.
In jeder Sonntagsrede betonen wir die „Wertegemeinschaft“, auf die wir uns gründen und die wir als Frohbotschaft in alle Welt verkünden. Waren wir mehrheitlich ehrlich und redlich, nur weil es bisher technisch umständlich war, es nicht zu sein? Jetzt genügt ein Maus-Klick, um jedes Tabu zu brechen. Da braucht es offenbar ganz neue Konventionen und Erziehungsziele, die dem Erlaubten die Grenze ziehen, ihm aber auch innerhalb dieses Rahmens die Entfaltung und Akzeptanz sichern! Wahlkampfzeiten sind schlecht für abwägende Vernunft.