„Doppelte Daten-Moral?“ – Handelsblatt, 21. Juni 2013

Als Atomspion Fuchs Blaupausen der Bombe an die Sowjets verriet, zeigte er sich edel: Nur ein Patt würde den Weltfrieden sichern. Es folgten Jahrzehnte risikoreichen Wettrüstens.

Geheimdienste nähern sich ihrem Lieblingstraum, jeden Schritt der Gegenseite zu kennen, bevor die ihn tut. Für manchen Steuer-fahnder begründet wirtschaftlicher Erfolg einen Anfangsverdacht. Ihr Finanzminister lässt sich in Medien loben, dass er, wenn möglich, geklaute Bankdaten einkauft. Terrorfahnder wollen alles wissen. Wehe ihnen, wenn ein Bombenbauer durch die Maschen schlüpft. Experten versichern, durch amerikanische Daten sei schon Übles verhindert worden. Auch in unserem Land.

Die Weltmächte verklausulieren mit Aufwand ihre Karten, damit niemand hineinsieht, aber ein blasser Computerfreak belauscht Botschafter, Minister und Regierungschefs. „Darf er das?“, fragen die einen. „Ja doch!“, sagen andere. Ein Block streute im NRW-Wahlkampf entführte CDU-Mails. Nachforschungen, wer das bezahlt, fand man empörend. In kurzem Abstand überkreuzten sich Empörungswellen.

Die eben triumphierten, sich Einblick verschafft zu haben, geben sich hysterisch, wenn in ihrem System geschnüffelt wird. Doppelmoral befördert grenzenlosen Datenhunger. Zwei Seelen ringen in derselben Brust. Oft flirten sie auf Teufel komm raus. Klassische Maßstäbe von Verhältnismäßigkeit, Dosierung oder Risikoabschätzung lösen sich auf.

Lüften die Protagonisten der neuen Durchschaubarkeit die Verlogen- und Verlegenheitszonen der Macht oder gehen auch sinnvoll abgedunkelte Spielräume verloren?

Wohlgemerkt: Kriminelles soll ans Licht. Wer auf die Selbstanzeige von Steuersündern nicht warten will, sollte auf Selbstanzeigen von Terrorhelfern nicht hoffen. Geheimdiplomatie war nicht immer nur Verrat an den Völkern, sondern auch Anzuchtbeet für politische Pflänzchen, die nur vertraulich gedeihen konnten. So war manches möglich, was an der großen Glocke gescheitert wäre. – Manchmal reißt man eine Maske ab, aber es war das Gesicht. So wie Trillerpfeifen nicht die Hymne der Demokratie flöten, repräsentieren Whissleblower nicht per se das Gute.

Wer im Daten-Glashaus sitzt, sollte mit Steinwürfen auf andere zögerlich sein.

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