„Change – Das deutsch-amerikanische Verhältnis im Wandel?“ mit Friedrich Merz – BAPP, 22. Januar 2013
Bonn, 22. Januar 2013
Lieber Friedrich Merz,
meine Damen und Herren,
im Nachkriegsdeutschland hätte man bei solchen Gelegenheiten über die deutsch amerikanischen Beziehungen geschwärmt. Im Ost-West-Schema des Kalten Krieges war die Bundesrepublik Frontstaat. Ihr Platz war unbeirrbar an der Seite des großen Bruders jenseits des Atlantiks. Wer daran rüttelte – wie die Jugendrevolte der 1968er – stieß auf inbrünstige Abwehr. Dabei waren auch die Protestler durch US-Trends inspiriert.
Heute spielt man auf der Weltbühne das Stück „Globalisierung“. Völker und Kontinente ordnen sich neu. Deutschland steht im engen Geflecht mit den europäischen Nachbarn. Ein komplexes Ensemble aus inzwischen 27 Nationen.
Großbritannien reklamiert ein Sonderverhältnis zu den USA. Deutschland nicht. Kritik an Positionen der geostrategischen US-Politik ist hier alltäglich, oft vorschnell. Deutschlands Votum zum Irakkrieg oder seine Enthaltung in Sachen Libyen blieben im Gedächtnis. Bezeichnend auch: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fand man osteuropäische Staaten wie Polen energischer an der Seite der USA als die alten Verbündeten in der NATO. Stichwort: weltraumgestützte Raketenabwehr.
Ist das nur Atmosphäre, ritualisierte Gewohnheit oder verblasste Liebe eines alten Ehepaars? Kann man einen systemischen Wandel erkennen?
Die USA – ein plurales – in bestimmten Bereichen anscheinend gespaltenes Land:
- Demokraten und Republikaner sind tief zerstritten. Auch bei vernünftigen Projekten gilt der einen Seite als Erfolg, wenn sie den Erfolg der anderen Seite verhindern kann.
- Die Mehrheitsverhältnisse in Senat und Repräsentantenhaus erschweren das Handeln der Administration.
- Staatsschulden mit fast 17 Billionen Dollar haben eine absurde Höhe.
- Der Aufstieg Chinas und Indiens mischt im ostasiatischen Raum die Karten neu. Die USA sehen einen wachsenden Schwerpunkt ihrer Interessen im pazifischen Raum.
Wir erkennen aber auch eine immer wiederkehrende Bereitschaft vieler Amerikaner, Probleme pragmatisch zu analysieren und mit Optimismus anzupacken. Der erscheint uns manchmal naiv: Wohl weil wir nicht zugeben wollen, wie sehr wir uns selber Tat- und Gestaltungskraft wünschen.
Die Förderung heimischer Gasreserven beschert den USA einen gewaltigen Boom durch kostengünstige Energie. Industriebranchen, die verloren schienen, leben auf. In absehbarer Zeit kann die USA vom unersättlichen Energieimporteur zum -exporteur werden. Das wird auch die geostrategischen Interessen verändern.
Unsere Neigung zu glauben, dass alles, was schief gehen kann, auch sicher schief gehen wird, ist in Amerika nicht verbreitet.
Europa und die Bundesrepublik sehen den Entwicklungen des großen Freundes interessiert, aber auch irritiert zu. Die haben natürlich Auswirkungen auf die hiesigen Verhältnisse.
Die Rolle der USA bei der Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Bewältigung sind entscheidend. Eine Lösung der anstehenden Weltprobleme ist ohne die USA nicht möglich. Diese fortbestehende Tatsache wird durch mangelnde europäische Gemeinsamkeit beständig belegt.
Ein kranker Riese hinter dem Atlantik wäre eine Katastrophe mit schwerwiegenden Folgen. – Nicht nur für Deutschland. Wir haben ein vitales Interesse an einem vertrauensvollen und konstruktiven Verhältnis zu den USA.
Wir müssen hier heute nicht im Kaffeesatz lesen. Wir haben einen Gast, der das ganze Panorama wie nur wenige kennt. – „Liebesverhältnis“ oder „eingetragene Partnerschaft“? Wie steht es um die deutsch-amerikanische „Beziehungskiste“?
Friedrich Merz, herzlich willkommen! Ich freue mich schon lange auf diese Veranstaltung. Sie haben das Wort!