„Ein Jahr Macron – Hoffnungsträger für Frankreich und Europa?“ – BAPP, 14. Mai 2018

„Ein Jahr Macron – Hoffnungsträger für Frankreich und Europa?“

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

Bonner Universitätsforum, 14. Mai 2018

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der wertgeschätzte, leitende Redakteur von Phoenix, Herr Krons, wird unsere wunderbaren Gäste protokollgerecht vorstellen.

Bonn ist näher an Paris als an Berlin. Liebe französische Freunde! Terror in Paris ist wie Terror nebenan. Ich versichere Ihnen – im Namen aller hier – wir stehen zusammen!

Heute ist unser Partner die bedeutendste französische Organisation für den interkulturellen Austausch. 1949 war ihr Gründungsjahr in Deutschland. Ihr Bonner Standort ist so alt wie ich (von 1952). Die französische Botschaft und die Universität Bonn sind die Träger. Sie ist ebenfalls An-Institut. Herzlich willkommen dem Chef, Herrn Dr. Charrier! Er ist auch Hochschulattaché der französischen Botschaft.

Den Einstieg teile ich mir heute mit dem französischen Generalkonsul, Herrn Muller. Unser Thema ist ihm viel vertrauter.

Ich beschränke mich auf Aperçus. Ein Pfarrer galt seiner Gemeinde als wundertätig. Ein Bauer bittet ihn um ein Gebet, damit es endlich wieder regnet. Der schlaue Pfarrer antwortet „Gern, aber du musst dich noch etwas gedulden. Das Barometer steht noch nicht günstig.“

Eine Frage drängt sich in allen demokratischen Gesellschaften auf: Sind unsere politischen Systeme reformfähig? – Können wir notwendige Reformen erfolgreich kommunizieren, d.h. mehrheitsfähig popularisieren? Ist schon der Versuch strafbar? Kann man „im Namen des Volkes“ liebgewordene Privilegien und Gewohnheiten vertikutieren, ohne dass das Mandat wütend entzogen wird? Ist Demokratie stabil, wenn Volksbegehren als Drohung empfunden werden?

Die Schweizer Bürger sind in „Mitwirkung“ geübt. Auf dieser Bühne hat ihr früherer Botschafter Guldimann gesagt, über dem Reichstag stünde: „Dem deutschen Volke“. Er frage sich: „Wer ist eigentlich das Subjekt hinter dem Objekt?“

Unsere Akademie trifft im Oktober zum 6. Mal eine hochrangige Delegation der Chinesischen Akademie der Wissenschaft. Bei früheren Treffen gab es ein Ritual: Chinesische Wissenschaftler und Politiker begannen ihre Vorträge mit der freundlichen Beteuerung, sie wollten lernen. Bei unserem letzten Treffen in Peking hörten wir diesen Vorspruch nicht mehr. Mir schien, als gelte die Systemkonkurrenz als entschieden. Für Europas Krisen und die Probleme, die Deutschland sich aufgeladen hat, erwartete man kein gutes Ende. Eine Frage wurde von unseren chinesischen Partnern umso drängender umkreist: „Wie erhält man die Loyalität des Volkes? Wie sichert man Zustimmung der Regierten für die Regierung? Die klugen chinesischen Partner zitierten häufig Deng Xiaoping‘s Appell: „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen.“

Dichter ans Thema: Deutschland galt in den 1990ern als „kranker Mann Europas“. Die sozialen Sicherungssysteme standen vor dem Kollaps. Untere Arbeitslöhne und Transferleistungen waren verführerisch ähnlich. Kaufmännisches Denken macht beim Transferleistungsempfänger nicht halt. Warum arbeiten, wenn‘s auch ohne geht? Reformen waren unausweichlich. Sie wirkten. Die Ökonomie profitierte. Die Arbeitslosigkeit sank. In den Taschen des Finanzministers klimperte es. Geldverleiher wurden entbehrlich. Die Reformer wurden abgestraft. Schlaumeierchen in den Parteien kapierten schnell: Finger weg von Unpopulärem! Fleißig Meinungsumfragen lesen! Das Vernünftige tun, gelegen oder ungelegen, könnte zu Machtverlust führen. Machterhalt ist politisches Ziel.

Hier in Nordrhein-Westfalen konnte man es erleiden. Mangelnder Gestaltungswille brachte sieben verlorene Jahre. In fast allen ökonomischen Bereichen wurde aus der früheren Lokomotive der Schlusswaggon mit der roten Laterne. Die neue GroKo in Berlin ist auch keine Reformrakete. Steuerquellen sprudeln. Mit Geld kann man soziale Konflikte überdecken. Aber man lebt mit falscher Kostenrechnung. Menetekel an der Wand will niemand sehen.

US-Offizielle kapriolen durch diplomatische Porzellanläden. Nach dem Antrittsbesuch beim Bundespräsidenten twitterte der neue Botschafter im forsch-ruppigen Stil seines Chefs. Wie wohltuend ist da der Aufruf des französischen Präsidenten in Aachen: „Europa muss eigene Souveränität aufbauen. Es darf seinen Kurs nicht von anderen Mächten bestimmen lassen!“ Wer jemals am deutsch-französischen Verhältnis herummäkelte, wird angesichts der Weltlage erkennen, dass ein noch engerer Schulterschluss – ich sage es mit Freude – alternativlos ist.

In Frankreich bewegt sich viel, und vieles wird bewegt. Das ist erfrischend neu. Die alte Diagnose „unreformierbar“ stimmt nicht. Herr Hollande, damals noch Generalsekretär der Sozialisten, zischte mich mal böse an: „Macht ihr Technokraten doch die Politik, die ihr wollt, aber lasst der Partei ihre großen Ziele!“ Das zielte auch in die Kniekehle von Pierre Moscovici. Der saß mit uns im Kreis der Reformer – übrigens hier in der Nähe im Kanzlerbungalow – zusammen.

Hollande legte seinen Wahlkampf als Umverteilungskampagne an. 75 Prozent Steuern sollten Reichere zahlen. Das gesellschaftliche Bündnis zwischen denen, die Sozialpolitik brauchen und denen, die sie wollen und bezahlen, wurde strapaziert. Zweifel am Bestehenden gab Gestrigen Auftrieb. Frankreich schien sich in die Arme von Frau Le Pen zu werfen.

Dann betrat einer die Bühne, der Appetit aufs Morgige machte. Kein leichtes Unterfangen. Präsident Macron weiß: Wer den Wandel will, kriegt Gegenwind aus zwei Richtungen: Vom politischen Gegner und vom verkrusteten Apparat seiner Partei. Insider kennen die Steigerung: Feind – Todfeind – Parteifreund. Er hat nicht nur neue Themen gewagt, sondern eine neue Bewegung geschaffen.

Max Weber beschrieb durchaus respektvoll den Typus des politischen Charismatikers. In allgemeiner Erstarrung und Blockade wische der die Akten vom Tisch und konstelliere die Fragen neu. Das mache historisch bedeutende Entwicklung möglich. Am Ende aber würden bürokratische Geister den Charismatiker wieder unterpflügen.

Wir staunen fasziniert und studieren neugierig. Die meisten mit Sympathie, andere mit gemischten Gefühlen. Aber alle sind gespannt. Wer nur staunt und zuschaut, den bestraft das Leben Frankreich und Deutschland sind Schicksalsgemeinschaft. Ökonomisch sowieso, aber längst auch gesellschaftspolitisch.

Von einem klugen Franzosen las ich belebende Gedanken: „Es scheint, dass unser Aufstieg noch nicht vollendet ist, dass sich die morgige Wahrheit vom gestrigen Irrtum nährt, dass die zu überwindenden Gegensätze für unser Wachstum der rechte Humus sind.“

Herr Generalkonsul, ich freue mich mit Ungeduld auf Ihren Beitrag und auf die folgende Diskussion. Wir wissen alle schon jetzt, dass wir klüger gehen werden, als wir gekommen sind. Dafür vorauseilenden Dank.