„Sozialpolitik heute – Herausforderungen in einer gespaltenen Gesellschaft“ – BAPP, 12. September 2017

„Sozialpolitik heute – Herausforderungen in einer gespaltenen Gesellschaft“

Begrüßung / Einführung durch Prof. Bodo Hombach

Bonner Universitätsforum, 12. September 2017

Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Overbeck,
sehr verehrte Damen und Herren,

Herr Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers, wird unsere großartigen Gäste gleich protokollgerecht vorstellen.

Sie kennen möglicherweise die Geschichte eines Pfarrers. Der war vom Weg abgekommen und in ein Sumpfloch geraten. Er konnte sich nicht befreien. Er rief zu Gott. Der solle ihn retten. Schließlich hätte er sein Leben lang für ihn gearbeitet. Eine Gegenleistung wäre fällig. Schnell kam ein Polizeiauto, später die Feuerwehr. Die wollte ihm ein Seil zuwerfen. „Ich brauche euch nicht“, rief der Pfarrer. „Gott wird mir helfen. Ich war immer für ihn da. Er wird sich nicht lumpen lassen.“ Kopfschüttelnd wendeten sich die Helfer ab.

Als er bis zum Gürtel eingesunken war, rief er: „ ‚Bittet, und ihr werdet empfangen‘ hast Du gesagt. Nun halte Wort! – Das ist doch nicht zu viel verlangt.“ Als ihm das Wasser bis zum Hals stand, rief er zum Himmel: „Es wird Zeit!“ Aus den Wolken dann die Stimme: „Ich habe das Meine getan. Ich habe dir Polizei und Feuerwehr geschickt. Du hast sie verjagt. – Dann also bis gleich!“

Ich bin beim Thema.

„Sozialpolitik heute“ – Das klingt, als müssten wir Neues lernen. Wir müssen nicht. Auch die Globalisierung spielt kein neues Stück. Sie ist die größere Bühne. Es ändern sich Kulissen, Namen, Ereignisse. Das Stück ist das gleiche. Sein Titel: „Fairness“. Es kennzeichnet Gesellschaften, wo es sich zu leben lohnt. Sie weckt und fördert Potenziale jedes Einzelnen. Sie ermutigt Ängstliche. Sie ermuntert Zögernde. Sie sucht nach dem Ausgleich der Interessen.

Das ist kein warmer Sommerregen von oben. Der Sozialvertrag der Bürger funktioniert nur in sinnvoller Vernetzung aller Kräfte. Jeder kann und muss nach seinen Möglichkeiten seinen Beitrag leisten. Dann steht ihm Hilfe zu.

Sozialphilosophen sprechen vom „Sozialkapital“ und meinen „die Gesamtheit der aktuellen und potenziellen Ressourcen, die mit der Teilhabe am Netz sozialer Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind.“

Joseph Beuys hatte die Vision vom „sozialen Kunstwerk“. Er meinte das gleiche. Mir genügt, wie es die Leute auf der Straße sagen: Wer sich selber helfen kann, der muss das tun. Wer sich aufgrund von Schicksalsschlägen nicht selbst helfen kann, dem soll die Gesellschaft helfen.

Das geht nicht ohne kontroverse Debatten. Sie werden heftig,

  • wenn sich Gesellschaft spaltet,
  • wenn Spannungen verdeckt und offene Fragen zu lange offen bleiben,
  • wenn Entscheidungsträger nicht mehr mit Betroffenen kommunizieren,
  • wenn Lebensgefühl und Sonntagsreden auseinanderklaffen,
  • wenn veröffentlichte und öffentliche Meinung sich kaum noch ähneln.

Mit der Dringlichkeit wächst nicht automatisch die Qualität der Debatte. In zerfallender Massengesellschaft verarmen Argumente durch Lautstärke. Demagogen drängen an die Bühnenkante. Dort posieren längst Vertreter von Moral-Agenturen und sondern Sprüche ab. Parteien, die aus dem Wahlkampfmodus nicht herausfinden, verhindern gute Lösungen. Erst recht, wenn sie der politische Gegner vorgeschlagen hat.

Es geht nicht nur ums Debattieren. Es geht um die Debattenkultur der Gesellschaft.

Unser Gast Dr. Georg Cremer hat mit seinem wunderbar hellwachen Buch über „Armut in Deutschland“ mutige Anregungen gegeben. Dieser Kenner ist nicht im „Mainstream“ getrieben. Rituelle Empörung führt nicht weiter. Es fehlt uns nicht an Balken- und Tortengrafiken, die klare Verhältnisse suggerieren. Die wirklichen Verhältnisse verunklaren sie.

Der Sozialstaat kämpft nicht nur mit parasitären Interessen. Oft steht er sich selbst im Weg. Kaufmännisches Denken macht beim Transferleistungs-Empfänger nicht halt.

Das „soziale Netz“ soll auffangen – nicht einfangen. Es soll nicht Hängematte, sondern Trampolin sein – zurückfedern in die Fähigkeit zur Selbsthilfe. Es gilt auch, an die zu denken, die hart arbeiten, um das System zu finanzieren.

Es gilt auch der lapidare Vierzeiler Bertolt Brechts:

              Denn die einen sind im Dunkeln,
              und die andern sind im Licht.
              Doch man sieht nur die im Lichte.
              Die im Dunkeln sieht man nicht.

Was ist zu tun?

Erprobte Konzepte liegen auf dem Tisch. Wir müssen uns ihrer erinnern.

Die katholische Soziallehre z. B. ist noch immer modern. Ihre vier Prinzipien heißen:

  • Personalität – Nicht das Kollektiv, sondern jeder Einzelne zählt.
  • Gemeinwohl – Partikularinteressen müssen allgemeinverträglich sein.
  • Subsidiarität – Die Initiativen sollen von unten kommen. Dann werden sie von den Institutionen unterstützt.

Und schließlich:

  • Solidarität – der Starken mit den Schwachen, der Kundigen mit den Ahnungslosen, der Vielen mit den Einzelnen.

Ich kenne keine besseren Leitplanken. Aber wir wissen, es ist weit vom Wissen zum Handeln, von der Abstraktion zum Konkreten, von der Menschheit zum Menschen.

Es gibt so manchen, der sich mit Formeln und Formalismen aus dem Staub macht, wenn es um die Umsetzung der eigenen Prinzipien geht.

Mit einem Pfarrer im Sumpfloch habe ich begonnen. Mit einem anderen will ich schließen: Er lag krank darnieder. Es besuchte ihn ein Abgesandter des Pfarrgemeinderates mit der Botschaft, der Rat wünsche ihm baldige Genesung – mit einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen.

Unsere heutigen großartigen Gäste sind eine Garantie: Wir werden alle klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür mein vorauseilender Dank.