„Was ist, wenn eine Regierung von schwarz zu rot wechselt?“ – Interview Die ZEIT, 3. März 2015

Was ist, wenn eine Regierung von schwarz zu rot wechselt? Bodo Hombach, 1998 Chef des Kanzleramts unter Gerhard Schröder, über Tricks und Fehler

Interview: Anne Hähnig

DIE ZEIT: Herr Hombach, Sie waren 1998 einer der Strategen des Machtwechsels im Bund hin zur SPD. Sie wurden damals Chef des Kanzleramts – das zuvor 16 Jahre lang Helmut Kohl (CDU) gedient hatte. Wie hat man Sie dort empfangen?

Bodo Hombach: Die Beamten waren anfangs zurückhaltend, so wie wir auch. Aber schnell stellte sich heraus, dass kluge Leute dabei waren, die sich offen zeigten für Veränderungen. Meine erste Amtshandlung war, den persönlichen Referenten meines Vorgängers zu treffen. Ich fragte ihn, wie die Abläufe im Kanzleramt funktionieren. Weil er mir loyal erschien, habe ich ihn weiterbeschäftigt. Gerade zu Anfang ist man auf erfahrene Leute angewiesen. Nur einen Fehler sollte man nicht begehen: sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigen zu lassen. Ein neuer Minister wird gefragt: „Welche Farbe soll Ihr Dienstwagen haben? Aus welchem Holz darf der Schreibtisch geschreinert sein?“ Ich habe die Möbel meines Vorgängers übernommen.

ZEIT: Gab es Widerstand im Haus?

Hombach: Der Widerstand kommt aus anderen Richtungen als erwartet. Die Verbände und Lobbygruppen zum Beispiel bekamen Sorgen, sogar Angst, als Kanzler Gerhard Schröder renommierte Wissenschaftler einlud und sie bat, mit uns zusammenzuarbeiten. Die Verbände wollten Probleme auf ihre eingeübte Weise lösen. Ihre gedankliche Borniertheit hat mich überrascht.

ZEIT: Sie gerieten in andere Nöte: Parteifreunde warfen Ihnen vor, zu stark zu polarisieren. Sitzt der eigentliche Feind eher in den eigenen Reihen?

Hombach: Wenn man in die Regierung kommt, wird die parteiinterne Opposition deutlicher, sie ist tatsächlich oft intensiver und schmerzhafter als die von gegnerischen Parteien. Herr Lafontaine, damals noch SPD-Bundesfinanzminister, hatte sich öffentlich als ideologischer Widerpart zum Kanzler positioniert, und ich wusste, dass ich diesen Konflikt zu meinem machen musste. Als Lafontaine dann unerwartet schnell zurücktrat, forderten einige: Jetzt ist der eine Streithammel weg, nun muss sein Widerpart Hombach auch gehen. Ich verstand diese Logik sogar. Wer sich auf Kämpfe einlässt, muss damit rechnen, danach als nicht mehr tragbar zu gelten.

ZEIT: Vor welchen Fehlern würden Sie Politiker an der Spitze einer Regierungszentrale warnen?

Hombach: Alles allein machen zu wollen. Im Überschwang unseres Gestaltungswillens haben wir im Kanzleramt 1998 sehr viele Themen zur Chefsache erklärt. Als wir das „Bündnis für Arbeit“ gründeten, war der Bundesarbeitsminister nicht etwa Vorsitzender der Runde, sondern nur Gast. Das geht nicht. Es ist zudem ein schwerwiegender Fehler, die eigenen Reformen in der Partei nicht auszudiskutieren. Wir haben über unser Konzept der „neuen Mitte“ gegenüber der Basis nicht ausreichend argumentiert. Darum hätten wir so ausgiebig ringen müssen wie 1959 in Godesberg um die West-Integration. Wir hätten das ausboxen müssen, das haben wir versäumt, darunter leidet die Partei bis heute. Wenn ich nun lese, dass sich Peer Steinbrück über seinen gescheiterten Wahlkampf von 2013 beklagt, denke ich: Auch seine Schwierigkeiten sind die Folge eines unterdrückten Kampfes innerhalb der SPD.

ZEIT: Wie finden Sie es, dass Thüringens SPD Rot-Rot-Grün wagt?

Hombach: Ich bin da ambivalent eingestellt. Persönlich kann ich mit den Linken nicht viel anfangen. Als 16-Jähriger war ich noch überzeugter Kommunist. Dann habe ich die DDR gesehen und erlebt und gemerkt: Dieses Gesellschaftsmodell wollte ich nicht, das habe ich nicht gemeint. Deshalb trat ich der SPD bei, wollte nach Willy Brandt mehr Demokratie wagen; und ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Thema die Linkspartei umtreibt. Jetzt kommt ein großes Aber: Die Linke im Osten sehe ich anders als die im Westen. Sie übernimmt eine Art Betriebsratsfunktion, kümmert sich offenbar um die Nöte der Leute, tritt identitätsstiftend auf – vergleichbar vielleicht mit der CSU in Bayern. Daher halte ich Rot-Rot-Grün für ein akzeptables Bündnis für Thüringen. Im Bund erschiene mir so eine Koalition abstrus.

 

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