„Alternativlos?“ – Handelsblatt, 7. März 2014

Kriege entstehen in den Köpfen, lange bevor die Waffen das Regiment übernehmen. Reale Fakten wie massenhafter Tod und Zerstörung sind vielfach Ergebnis von Fiktionen. Menschen, die eben noch gut nachbarlich zusammenlebten, verwandeln sich plötzlich in Russen oder Ukrainer, in Hutus oder Tutsis, Evangelisch oder Katholisch, und in angebliche Erbfeinde, die sich auf uralte offene Rechnungen berufen.

Was braucht man noch? – Einen Diktator, dessen Lebensentwurf im Erhalt persönlicher Macht und des zusammengeraubten Geldes besteht. Ein System, das soziale Probleme nicht bearbeitet, sondern staut, bis sie Zündtemperatur erreichen. Verschiedene Volksgruppen, die man gegeneinander treiben kann. Eine politische Stromschnelle, die vieles durcheinanderwirbelt und Leidenschaften entfesselt. Ringsum Großmächte oder Blöcke, die noch immer meinen, sie müssten den Globus unter sich aufteilen.
Der Rest ergibt sich fast automatisch. Brandstifter, Stammtischdemagogen, Geheime und skrupellose Medien verwandeln Ressentiments in Parolen, Provokationen in Handgreiflichkeiten und diese in Pulver. Wer dann die Lunte anbrennt, ist schon gleichgültig.

Man unterbreche ein – sagen wir – dreijähriges Kind beim Spiel und versuche, ihm den Konflikt um die Krim zu erklären. Man teile ihm mit Bedauern mit, Vater, Mutter, Freunde würden nun vielleicht bei Kampfhandlungen getötet, das Land würde zerstört, und es selbst müsse Jahre in Angst, Flucht, Elend verbringen. Dafür gäbe es halt geostrategische Gründe, Interessenssphären, Rüstungsprofite und den Ehrgeiz irgendwelcher Staatsoberhäupter. Auch die nationale Ehre ließe leider nichts anderes zu. Der Krieg sei alternativlos. Er werde ungeheure Kräfte und Summen vergeuden, die dann für Schulen und Krankenhäuser fehlen, und vermutlich werden auch Hass- und Rachegefühle das Leben der nächsten Generationen vergiften, aber einfach auf Gewalt zu verzichten, geduldig zu verhandeln und vielleicht sogar Zugeständnisse zu machen, das sei nun mal ein Zeichen der Schwäche und nicht akzeptabel. Immerhin werde man am Ende vielleicht erreicht haben, dass alles wieder so ist wie vorher.
Wem es nicht gelingt, dieses Kind zu überzeugen, – der sei verflucht.

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