„Spannungsschwankungen“ – Handelsblatt, 23. August 2013

Die Energiewende hat die Phase spontaner Begeisterung hinter sich. Der visionäre Wurf elektrisiert, aber wenn es zum Schwur kommt, entdeckt man die Unbequemlichkeiten des Umbaus bei laufendem Betrieb.

Die Physik lässt sich durch große Gefühle nicht beeindrucken. Windräder sind sympathisch, solange sie nicht im eigenen Vorgarten stehen. Photovoltaik auf privaten Dächern ist den einen rentable Geldanlage, für andere Preistreiber. Die Solarbranche, aus deren Reihen schon zur Wahl der Grünen aufgerufen wurde, ist nicht auf Schönwetter abonniert. Wenig hilfreich war die Ansage der Politik, ein so grundstürzender Umbau der technischen Zivilisation sei schmerzfrei und ohne Nebenwirkungen zu haben.

Im magischen Dreieck der Energiepolitik ist der wichtigste und älteste Winkel die Versorgungssicherheit. Das galt schon in der steinzeitlichen Wohnhöhle. Der zweite Winkel des Dreiecks ist Wirtschaftlichkeit. Seitdem Energie zum handelbaren Gut wurde, ist sie den Mechanismen des Marktes unterworfen. CO2 und atomare Unfälle beleuchteten den dritten Winkel des Dreiecks, die ökologische Vertretbarkeit der Energieerzeugung. Das Thema bewirkte einen Bewusstseinswandel und wurde wahlrelevanter Bestandteil aller Parteiprogramme. Verbrauchendes Wachstum war nun antiquiert.

Das Pendel schlägt zurück. Wo früher die Ökonomie den Vorrang hatte, gerät sie unter Trommelfeuer der Ökologen in die Defensive. Wenn aber der Industriestandort Deutschland Schaden nimmt, wenn Arbeitsplätze verlorengehen oder nur die eine falsche Kostenrechnung durch die andere ersetzt wird, stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft diesen Stresstest bestehen wird. Der soziale Faktor muss bei allen Entscheidungen einbezogen sein. Das Dreieck der Energiepolitik mit einer materiell-sozialen Kante wird zum Viereck.

Keine einfache Aufgabe, die Spannungsschwankungen zwischen Ökonomie und Ökologie auszugleichen. Die Politik ist verunsichert und nicht mehr bereit, sich für große Projekte der Wirtschaft zu engagieren. Diese muss sich selbst formulieren und ständig klüger werden. Wir brauchen neue Leitungstrassen und Speicher, auch für innovatives Denken, gute Ideen und versöhnende Politik.

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